Zivilisationskrankheiten
Lieber ’nen starken Nacken als ’nen dicken Hals
Das Smartphone ist eine tolle Erfindung. Es ermöglicht, unterwegs mit anderen zu kommunizieren, Artikel zu lesen oder sich in einer fremden Stadt zu orientieren. Weniger positiv wirkt es sich allerdings auf den Nacken seiner Benutzer aus – zumindest dann, wenn man stundenlang in schlechter Haltung darüber hockt. Statt unter Beschwerden zu leiden, ist es besser, die Nackenmuskulatur zu stärken.
Für immer mehr Menschen wird das Smartphone zum täglichen Begleiter: In der Schweiz besitzen bereits 90 Prozent der Menschen eins, in Deutschland sind es 81 Prozent und in Österreich 77 Prozent. Und es wird intensiv genutzt, nämlich an Wochentagen im Durchschnitt 2 Stunden und 32 Minuten, wie eine Umfrage des Bundesverbands für digitale Wirtschaft in Deutschland ergab. In den USA nutzen Untersuchungen zufolge 77 Prozent der Bevölkerung das Handy im Schnitt zwischen 3 und 4 Stunden. Die Nutzung von Tablets und Laptops kommt noch dazu.
Was in aufrechter Haltung für die Muskeln kein Problem ist, bedeutet in der Vorbeuge Schwerstarbeit. Wer auf das Display schaut, beugt meist den Kopf nach vorne – und damit auch die Halswirbelsäule. Um den Kopf in dieser Position zu halten, müssen Nacken- und Schultermuskeln enorme Kräfte aufbringen.
Der Kopf eines Erwachsenen wiegt im Durchschnitt fünf Kilogramm. Je weiter man den Kopf nach vorne neigt, desto schwerer die Last. Messungen des US-amerikanischen Wirbelsäulenchirurgen Kenneth Hansraj bringen konkrete Zahlen: Neigt man den Kopf um 45 Grad nach vorne, wirken bereits über 20 Kilogramm auf Halswirbelsäule, Muskeln und Sehnen. Bei 60 Grad werden daraus über 27 Kilogramm. Das entspricht etwa dem Gewicht eines siebenjährigen Kindes.
Macht man sich das bewusst, wird schnell klar, dass solche Belastungen Folgen haben müssen. Eine internationale Übersichtsarbeit, die 2018 im "Hong Kong Physiotherapy Journal" veröffentlicht wurde, zeigt: Während das Mobilgerät genutzt wird, nimmt die Aktivität aller beteiligten Muskeln im Nacken zu. Während der Smartphone Nutzung erhöhen sich außerdem Kopfneigungs- und Halsbeugungswinkel und der Kopf wurde zunehmend nach vorn geschoben. Als mögliche Folge nennen die Wissenschaftler Symptome im Muskel-Skelett-System.
Langfristige Konsequenzen, die mit erzwungenen Haltungen einhergehen, sind noch nicht erforscht, können aber erahnt werden. Muskelermüdungen und daraus resultierende Fehlhaltungen bis hin zu Überbeanspruchungen können auftreten. Dies sind zum Beispiel Beschwerden an Nacken, Kopf und Schulter.
Doch nicht nur Smartphones belasten unseren Nacken: Der Alltag findet für viele Menschen überwiegend im Sitzen und mit Blick auf einen Bildschirm statt. Die Folgen sieht Beate Lauerbach jeden Tag. Die Sportwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Prävention und Rehabilitation arbeitet als LE-/CE-Instruktorin im Kieser Training-Studio Würzburg. Etwa ein Drittel ihrer Kunden kommt mit Beschwerden und Schmerzen im Hals-Nacken-Bereich. Die gute Nachricht: "80 bis 90 Prozent davon sind primär muskulär bedingt. Sie lassen sich meist gut durch Krafttraining verhindern oder beheben".
Meist geht es mit leichten Beschwerden los: "Die Nacken- und Schultermuskulatur ist schmerzhaft verspannt. Dazu kommen Kopfschmerzen und schmerzhafte Bewegungseinschränkungen, zum Beispiel beim Schulterblick im Auto", sagt die Expertin. Das sind erste Warnzeichen. Spätestens dann wird es Zeit, aktiv zu werden. Tut man das nicht, können Strukturen nachhaltig geschädigt werden: "Es kann durch Fehlhaltung oder Überanstrengung zu frühzeitigen Verschleißerscheinungen oder zu Bandscheibenschäden kommen", sagt Lauerbach.
Für eine Studie hat sie ermittelt, wie sich das Kräftigen der Muskulatur auf Menschen mit Hals-Nacken-Beschwerden auswirkt. Von 357 betroffenen Patientinnen und Patienten hatten 59 bereits einen Termin für eine Bandscheiben Operation vereinbart. Nach 18 Einheiten an der CE mussten nur noch zwei von ihnen tatsächlich operiert werden. Bei allen anderen hat allein das Training geholfen.
Damit es gar nicht erst zu chronischen Schmerzen kommt, empfiehlt Lauerbach, die CE in das Training zu integrieren, um die Halswirbelsäule bestmöglich zu stabilisieren. Sie rät zudem, die gesamte Rumpfmuskulatur zu stärken – für eine insgesamt möglichst aufrechte Körperhaltung.
Was außerdem hilft: Das Smartphone so zu nutzen, dass die Muskeln im Nacken möglichst wenig belastet werden. Anregungen dazu geben die Messungen in der Studie im "Hong Kong Physiotherapy Journal": Besser mit zwei Händen als mit einer Hand schreiben, besser stehen als sitzen oder im Sitzen zumindest die Ellbogen auf den Armstützen ablegen. Vor allem die letzten beiden Punkte zielen darauf ab, das Smartphone so hoch zu halten, dass der Kopf in einer aufrechten Position ist. Das sollte immer das Ziel sein. Und klar: Je kürzer man das Smartphone nutzt, desto besser.
Text von Monika Herbst