TICK TACK
Mit Schweizer Uhren verbindet man höchste Präzision. Präzision ist auch für Valentin Landmann ein Muss. Und Uhren sind für den Schweizer Milieuanwalt ein Markenzeichen.
„Oh, die Agenda von Herrn Landmann ist gut gefüllt“, sagt seine Sekretärin am Telefon auf meine Frage nach einem Termin für ein Fotoshooting für das Projekt „50 starke Jahre“. Zeit ist Mangelware bei Valentin Landmann. Wenn der Schweizer Milieuanwalt nicht gerade vor Gericht steht, steckt er in einem Interview, ist beim Schwimmen oder trainiert bei Kieser Training.
Manege frei
Zu unserem Shooting in das Kieser Training-Studio Zürich-Primetower kommt Landmann allerdings weit vor der Zeit. Er hat die wachsamen Augen eines Luchses. Lebhaft die Vorstellung, wie der Anwalt vor Gericht sein Gegenüber damit in die Zange nimmt. Mit der Gelassenheit eines an den öffentlichen Auftritt gewöhnten Routiniers bringt er sich für unsere Fotografin in Position. Schnell ist klar: Hier hat ein Profi die Bühne betreten.
Landmann nimmt sich seinen Raum. Die Redezeit ist die Seine. Er spricht langsam, artikuliert präzise mit geübter Stimme, die zum Zuhören zwingt und das Gesprochene ins Gedächtnis ritzt. „Das habe ich mir angeeignet. Man muss vor Gericht so reden, dass es sinnvoll protokolliert werden kann.“ Zwischen dem blauen Sakko mit den goldenen Knöpfen blitzt eine Krawatte hervor: Sie zeigt goldene Taschenuhren mit unterschiedlichen Zeitangaben auf grünem Grund. An seinem Gürtel ein silberner Anhänger mit Totenkopf. Der thront auch auf dem Knauf seines Gehstockes. Uhren und Totenköpfe – Symbole der tickenden Lebenszeit – sind Landmanns Markenzeichen: „Darum kämpfe ich im Strafrecht: Um Lebenszeit.“
Milieu und Moral
Schon als Kind habe er sich die Nase an den Fenstern der Uhrengeschäfte plattgedrückt. „Ich mag das Tick Tack.“ Landmann ist 1950 geboren und in St. Gallen in einem akademisch geprägten Umfeld aufgewachsen. Seine Mutter Schriftstellerin, sein Vater Philosophieprofessor in Berlin. Nach dem Studium, das er mit summa cum laude abschloss, ging Landmann nach Hamburg, um für seine Habilitation am Max-Planck-Institut zu recherchieren. Angetrieben von der Frage nach dem Umgang mit Moral im Milieu wollte er dabei „bewusst andere Sphären kennen lernen.“ So klopfte er am Clubhaus der Hells Angels. „Mir öffnete ein Rübzahn. Den hab ich gefragt: ‚Sind sie Gangster?’ Zum Glück hat der mich nicht plattgemacht, sondern mit mir geschnackt.“ Eine einschneidende Begegnung für Landmann, der seine Habilitationsschrift schreddert und seitdem überwiegend Menschen aus dem Milieu verteidigt.
Von seinem Job weiß Landmann viele Geschichten zu erzählen. Etwa die eines jungen Mannes, der seinen Vater erschossen hat. Im Fernsehsessel. Von hinten. Das sei etwas ganz Entsetzliches. Dennoch sei es seine Aufgabe als Strafverteidiger, nach der Geschichte dahinter und deren Psychodynamik zu forschen. Landmann holt aus: „Die Mutter war gerade verstorben. Der Sohn wandte sich in Selbstmordstimmung hilfesuchend an den Vater. Als der sagte: ‚Du bist der gleiche Dreck wie deine Mutter’, tickte der Sohn aus. Es ist ein junger Mann, der alles offenlegt und bedauert. Enorm bedauert. Der Staatsanwalt wollte 15 Jahre wegen Mordes. Ich plädierte auf zehn Jahre wegen vorsätzlicher Tötung. Wenn jemand geständig und einsichtig ist, kann man über die Vermittlung der Hintergründe viel herausholen – in diesem Fall ging es um rund zehn Jahre Lebenszeit.“
Mit dem Milieu hat Landmann kein Problem. Warum auch. „Das Milieu der Politiker, der Bankiers, der Manager, der Gangster, der Junkies – jeder kann in gravierende Schwierigkeiten kommen.“ So könne es sein, dass man als braver Bürger in eine Situation gerät, in der es zu 100 Prozent so aussieht, als ob man einen Mord begangen hätte. „Nehmen Sie an, Sie finden im Park jemanden keuchend am Boden mit einem Messer im Körper. Sie greifen es, um es herauszuziehen. In dem Moment kommen Passanten. Und der Mann stirbt. Es ist ein konstruiertes Beispiel. Aber solche Situationen gibt es.“
Gewonnene Lebenszeit
Dann erzählt er von einem konkreten Fall, in dem sein Mandant fälschlicherweise des Mordes bezichtigt wurde. „Wenn mir jemand glaubhaft versichert, dass er es nicht war, forsche ich nach den Fakten. In unserem Fall gab es allerdings eine Kronzeugin, die behauptete, sie habe genau gesehen, wie mein Mandant das Opfer stranguliert hat. Und die weißen Socken, mit denen er das gemacht haben soll, gab es auch. Wenn ein Zeuge sehr detailliert beschreibt, ist es schwierig, Indizien zu finden, die die Unschuld beweisen. Aber wenn man erst einmal einen Punkt gefunden hat, der nicht sein kann, findet man plötzlich andere. Ich konnte einen Freispruch erzielen. Das war ein schönes Erlebnis. Hier ging es um rund 20 Jahre Lebenszeit.“
Natürlich habe es auch Fälle gegeben, in denen er bis zuletzt nicht gewusst habe, was wirklich passiert sei. Kritische und schlimme Fälle, die Landmann Stress bereiten. Um den abzubauen, geht er in der Mittagspause täglich Schwimmen. „Dabei fahre ich emotional runter. Dann kann ich den Tisch, in den ich sonst beißen will, wieder als Tisch betrachten.“ Kieser Training helfe ihm auch dabei – seit 35 Jahren schon. Wer Landmann heute beim Krafttraining beobachtet, kann sehen, wie er die Langsamkeit der Bewegungen an den Maschinen auskostet. Das Gesicht gerötet trainiert er präzise im Sekundentakt der Bahnhofsuhr im Studio – aufgrund einer Schulterverletzung „super slow“. Tick Tack. Tick Tack. Tick Tack. Auf die Frage, ob er Angst vor dem Tod hat, antwortet er: „Der Tod gehört zum Leben. Man sollte nur Angst davor haben, zum Zeitpunkt des Todes nicht gelebt zu haben."
Text: Tania Schneider
Foto: Verena Meier