EILE MIT WEILE
Mario Gritzner ist Gastronom aus Leidenschaft. Er liebt es, unter Menschen zu sein, doch zum Entspannen ist er am Liebsten allein – und in Bewegung.
Es ist 19.30 Uhr – und es riecht nach frisch gebrühtem Kaffee. Wir sind im Café Eiles in der Wiener Josefstadt. Es ist eines der ältesten Kaffeehäuser in Wien, das seit 1840 an diesem Standort ist. 2016 wurde es von den neuen Eigentümern Nana und Gert Kunze renoviert. Glücklicherweise recht behutsam, so dass der Charme vergangener Zeiten spürbar ist.
Die Kellner flitzen hin und her, eine Kellnerin hinter mir bellt: Vorsicht, Vorsicht. Es interessiert sie nicht, dass ich am Hinterkopf keine Augen habe. Mit ihren zwei Tellern Wiener Würstchen rennt sie mich beinahe über den Haufen. Ich rette mich an einen freien Tisch in der hintersten Ecke und lasse mich auf die rot gepolsterte Sitzbank fallen. Ich bin hier mit Mario Gritzner verabredet. Urgestein der Wiener Gastroszene und gute Seele im Eiles, wo er sich um das Wohlbefinden der Gäste bemüht.
Der biegt gerade mit dem eleganten Hüftschwung eines Tänzers um die Ecke. Er nickt mir lächelnd zu und bedeutet mir, dass er gleich da sein werde. Dann wendet er sich an die Damen, die kurz vorher am Nachbartisch Platz genommen haben. „Grüß Sie Gott. Wie geht es Ihnen“, fragt er diese mit charmantem Lächeln. Er ist das Gegenteil eines grantelnden Menschen. Vielleicht liegt es daran, dass er, wie Eigentümer Kunze, aus Kärnten stammt. Im Eiles ist jeder Tisch besetzt. Es geht hektisch zu. Doch Gritzner lässt sich trotz aller Eile nicht hetzen. Er nimmt sich die Zeit für einen kurzen Schwatz mit seinen Gästen. Er ist gerne unter Menschen – aber dabei auch immer wieder gerne allein.
„Nehmt halt was Klassisches“, sagt Gritzner zu den Damen und dehnt – ganz klassisch – das Klassische. Es sind drei Touristinnen, die angesichts der Leckereien auf der Karte etwas überfordert scheinen. „Wiener Würstchen sind der Renner“, sagt er lachend. Auch ich möchte beim Blick in die Karte am liebsten ganz Wien verspeisen. Gritzner empfiehlt mir den Topfenstrudel. Der ist, kaum gebracht, schnell verputzt. Lecker.
Im überbesten Alter
Gritzner setzt sich und schlägt die Beine übereinander. Schenkt man Facebook Glauben, ist der schlaksige Blonde mit der sympathischen Zahnlücke Baujahr 1973. Er kräuselt die Lippen und verdreht die Augen. Dann sagt er selbstironisch und mit überspitzt nasalem Ton: „Die Einstellung im Profil lässt sich einfach nicht mehr verändern. Ich bin im überbesten Alter.“ Gritzner macht kein Geheimnis daraus, dass er Wert auf ein gutes Äußeres legt. Deshalb serviert er Kuchen lieber, statt ihn zu essen. Lachend tätschelt er seinen Waschbrettbauch, der sich unter dem dünnen T-Shirt abzeichnet.
Vor 20 Jahren zog er von einem auf den anderen Tag von Kärnten nach Wien. Damals war er 30 und Kaufmann. „Das war nicht meins“, sagt er und zuckt mit den Schultern. „Ich mag die Gastronomie. Ich bin einfach gern unter Menschen.“ Die letzten zwölf Jahre arbeitete er in einem Nachtlokal, dann wechselte er ins Kaffeehaus. „Zwölf Jahre. Da braucht man irgendwann eine Pause und Distanz. Dann sucht man was Neues“, erklärt er.
Zwischen Tratsch und Tränen
Gritzner trinkt einen Schluck Mocca. Nein. Er trinkt ihn nicht. Er stürzt ihn. Heiß wie er ist. Verdutzt schaut er in die Tasse. Sie ist leer. Dann erzählt er, dass er schon viele Menschen kennengelernt und viele Geschichten gehört habe. Geschichten über Familie und Freunde. Über die Liebe. Über Freude und Tränen ... Ein ganzes Buch könne er schreiben. „Man trinkt ein Glaserl Wein zusammen und dann tratscht man. Im Kaffeehaus fühlt man sich aufgehoben. Du hast Stammgäste. Langsam weiß ich, wie sie alle heißen.“ Gritzner redet so schnell, wie er Kaffee trinkt. Er mag es, in andere Leben zu tauchen. Und dennoch gibt es zwischen dem Gast und ihm immer diese kleine Wand.
Zum Entspannen bleibt Gritzner lieber allein. Nicht „eingekastelt“, wie er sagt. „Allein unter Menschen“, meint er. So hat er etwa eine Jahreskarte für das Kunsthistorische Institut in Wien. Nicht wegen der Kunst. Nein. Er mag die Gebäude, die Akustik, das Leben. Jede Stadt hat ihr eigenes Flair und ihre eigene Akustik, sagt er. Am liebsten sitzt er dann im Café und lässt das Treiben der Anderen auf sich wirken. Mitten drin und doch für sich. Das genießt er auch im Urlaub oder beim Wochenendtrip in Paris. „Ich geh wahnsinnig gern spazieren. Ein Spaziergang zur Basilika Sacré-Coeur auf dem Montmartre steht deswegen immer auf dem Programm.“
Jeden zweiten Tag trainieren
Gritzner braucht die Bewegung, um zu Entspannen – selbst nach einem langen Tag im Café: „Da komm ich runter und kann entspannen.“ Auch Kieser Training bedeutet für ihn eine kleine Auszeit. Zu Fuß braucht er eine Viertelstunde zum Training. So lange dauerte es früher, bis er eine Socke angezogen hatte. Rückenprobleme. „Den ganzen Tag stehen. Falsch heben. Falsch tragen. Ich habe alles durchprobiert. Irgendwann bin ich bei Kieser gelandet. Jetzt gehe ich jeden zweiten Tag trainieren. Ich bin da sehr streng mit mir. Seitdem geht es mir besser.“
Gritzner ist zufrieden. „’S passt scho“, so seine Einstellung. „Ich bin wie ich bin und fühle mich wohl in meiner Haut.“ Er steht auf, muss nach Hause, zu seinem Kater Florian. Er spricht es mit einem ö. „Flörian Gritzner der Erste und Letzte“, wie er ihn nennt, ist 18 Jahre alt, hat keine Zähne, aber Diabetes. Zweimal täglich verpasst Gritzner ihm „a Spritzn“ – serviert mit Thunfisch. Und das steht jetzt an. „Ciao. Bis bald“, sagt er. Dann eilt er gemächlich von dannen.
Text: Tania Schneider
Foto: Verena Meier