„Viele übergeben sich beim ersten Training“
Für Kevin Wu erfüllt sich ein Traum: Der erfolgreiche Football-Spieler geht im Sommer für ein Sportstipendium in die USA. Dabei wollte er eigentlich gleich nach seinem ersten Probetraining mit dem Football wieder aufhören ...
Es gibt Momente im Leben, die sich für immer ins Gedächtnis prägen. So einen Moment erlebte Kevin Wu vor vier Jahren in Hamburg, bei der Deutschen Jugendmeisterschaft im American Football. Er war 18 Jahre alt und spielte für Bayern, ein Bundesland, das damals beim Football nicht gerade zu den Besten gehörte. Doch diesmal war es anders: Erst fegte seine Mannschaft die siegesverwöhnten Nordrhein-Westfalen mit einem 16:0 vom Platz. Dann ging es gegen Baden-Württemberg ins Finale, ebenfalls einer der Favoriten. „Es war ein sehr knappes Spiel“, erinnert sich Wu. In den letzten 30 Sekunden schaffte er den spielentscheidenden Touchdown. Die anderen Spieler liefen auf ihn zu und umarmten ihn. Die Bayernauswahl gewann mit 10:6 die Deutsche Jugendmeisterschaft – der erste Sieg in 30 Jahren. „Wir haben Geschichte geschrieben“, sagt Wu stolz.
Noch drei Jahre vorher wäre so eine Leistung für ihn unvorstellbar gewesen. In einem Ferienlager auf Norderney hatte er als 15-Jähriger zum ersten Mal mit einem Football am Strand gespielt. Er warf sich mit einem Freund den Ball zu, der langgezogenen ist, mit spitz zulaufenden Enden. Das Werfen war schwierig, so ganz anders, als mit einem runden Ball. Kevin war trotzdem fasziniert und sah sich direkt nach der Rückkehr in seiner Heimatstadt München nach einem Football-Verein um. American Football gibt es in Deutschland erst seit 1945 und wurde anfangs vor allem von US-Soldaten gespielt. Erst 1977 wurde in Frankfurt der erste offizielle Verein gegründet. Inzwischen ist das Angebot groß: Als Wu im Internet nach einem Verein suchte, tauchten die „München Rangers“, bei den Suchergebnissen ganz oben auf. Er meldete sich gemeinsam mit seinem Freund zum Probetraining an. Ein einschneidendes Erlebnis: „Danach wollte ich wieder aufhören“, erinnert er sich.
Als Zirkuskind im Wohnwagen
Kevin Wu ist heute 22. Er ist Halbchinese. Dass er in München geboren wurde, sieht man ihm nicht an – hört es aber sofort am „Grüß Gott“. Die ersten drei Jahre seines Lebens verbrachte er im Zirkus. Seine Mutter hat in der Presseabteilung gearbeitet, sein Vater, ein ehemaliger Raubtierdompteur, als Zeltmeister. Er lebte als Zirkuskind mit seinen Eltern im Wohnwagen und tourte mit ihnen durch verschiedene Städte. Als er in den Kindergarten kam, blieben die Eltern in München im Winterzelt des Zirkus Krone. An die bunte Zirkuszeit erinnern ihn nur noch Fotos. Aber wenn er in München das Zelt des Zirkus Krone betritt und den Geruch der Tiere wahrnimmt, spürt er sofort, dass das seine Welt ist. Dann begrüßen ihn Mitarbeiter, die ihn noch als Kleinkind kannten. Sein Vater starb an einem Herzinfarkt, als Kevin sechs Jahre alt war. Seine Mutter bleibt noch einige Jahre beim Zirkus, erfüllte sich dann aber einen alten Traum und macht eine Ausbildung zur Chinesisch-Dolmetscherin. Jetzt erfüllt sich ihr Sohn seinen Traum: Im Sommer geht Kevin Wu in die USA, er hat die Zusage für ein Sportstipendium bekommen, an der Waldorf University in Forest City, einer 4000-Einwohner-Stadt in Iowa, im Mittleren Westen.
Sprints mit Zusatzgewicht
Und das in einer Sportart von der er sagt: „Viele übergeben sich beim ersten Training, das ist normal.“ Die Anstrengung ist immens: Eine Trainingseinheit dauert zwei- bis zweieinhalb Stunden. Die Spieler tragen währenddessen einen zwei Kilo schweren Helm und ein dickes Schulterpolster, das bis zur Brust reicht. „Man wiegt drei bis vier Kilo mehr und muss damit sprinten“, erklärt Wu. Er war sich nicht sicher, ob er das durchhalten würde und hatte nach dem Probetraining auch nicht wirklich Lust darauf. Als er in der Umkleide mit seinem Freund darüber sprach, erlebte er zum ersten Mal das Teamgefühl der Mannschaft, das ihn bis heute begeistert: Die anderen Spieler gaben den beiden Neuen sofort das Gefühl, willkommen zu sein. Sie erzählten ihnen, dass der Anfang auch bei ihnen hart gewesen sei. So entschieden die beiden, weiterzumachen.
„In der ersten Saison war ich ziemlich schlecht. Ich hatte Angst vor den Kollisionen“, erzählt Wu. Die Gegner wirkten sehr groß und stark für den heute 1,78 Meter großen und 80 Kilo schweren Mann. Er verbrachte am Anfang viel Zeit auf der Ersatzbank. Mit der zunehmenden Routine kam der Spaß am „tackeln“, also daran, den gegnerischen Ballträger anzugreifen und zu Fall zu bringen. Nach und nach verlor er seine Angst und merkte, dass er seinen Körper gut einsetzen konnte. Schon in der zweiten Saison spielte er so gut, dass er für die Bayern-Auswahl der Jugendlichen nominiert wurde – die besten Spieler des Bundeslandes. Nach drei Jahren schaffte er es sogar in die Jugend-Nationalmannschaft. Zwei Jahre hat er dort gespielt, bis er zu alt war.
Erste Trainingseinheit morgens um 5.30 Uhr
Bei allem Erfolg bleibt Kevin Wu geerdet: Er hat zeitgleich zur Football-Karriere bei Kieser Training eine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann gemacht. Seit seinem Abschluss vor zwei Jahren arbeitet er im Studio in München-Pasing als Instruktor. Und auch in den USA ist sein Ziel nicht unbedingt die Profiliga, sondern in erster Linie, Sport und Studium gut zu vereinbaren. Ein Spaziergang wird das freilich nicht werden: Von einem Freund, der schon dort studiert, weiß er, dass um 5.30 Uhr am Morgen die erste Trainingseinheit ansteht und das Programm oft bis spät in den Abend geht. Er freut sich darauf und sagt: „Ich bin ja noch jung.“
Text: Monika Herbst
Fotos: Bernhard Lang / privat