IM STILLEN STARK
Halima Monsch ist ganz schön stark – doch zeigen mag sie das nicht so gerne.
In einem ruhigen Bergdorf in der Provinz Nador im Nordosten Marokkos tritt Halima ins Freie und schließt leise die Tür. Die Tradition verbietet es ihr, allein das Haus zu verlassen, etwa um Spazieren zu gehen. Sie stammt aus einer streng konservativen Familie. Dennoch geht sie – allein. Nicht, um sich die Füße zu vertreten – nein, die junge Frau geht für immer, um ihren Traum zu realisieren.
Halima ist 15 Jahre alt, als sie ihr Elternhaus verlässt. Die zehnte Klasse hat sie gerade abgeschlossen und in ihrem Heimatdorf gibt es für sie keine Möglichkeit, eine weiterführende Schule zu besuchen. Und so zieht Halima mit Unterstützung ihrer Mutter zu ihrer 76 Jahre alten Großmutter, die ca. 120 Kilometer entfernt im marokkanischen Oujda lebt – einer Stadt, in der es eine weiterführende Schule gibt, die auch Mädchen besuchen dürfen.
Der Traum von Freiheit und Wissen
Heute ist Halima Monsch 40 Jahre alt. Sie kann sich noch genau an den Tag erinnern, als sie von zu Hause wegging: „Es war eine harte, schlimme Entscheidung“, erinnert sie sich leise und senkt den Blick. Eine Entscheidung, die sie gegen den Willen ihres Vaters getroffen hat und die sie rückblickend stolz macht. Und so hebt sie den Blick, streckt für einen kurzen Moment das Kreuz durch, stemmt den Arm in die Seite und sagt lächelnd, aber bestimmt: „In dem Moment als ich ging, war ich total motiviert. Ich hatte so ein Gefühl wie Schmetterlinge im Bauch, so sehr habe mich darauf gefreut, weiter zur Schule gehen zu können und die Welt zu entdecken.“ Halima Monsch präsentiert meist ihre zurückhaltende Seite. Doch wer hinsieht, entdeckt in ihr eine selbstbewusste, starke Frau, die sehr genau weiß, was sie will.
Vom marokkanischen Bergdorf zum Studium nach Fès
Halima Monsch hat hart für ihren Traum gearbeitet. In der Schule bekommt sie gute Noten und wird dafür mit einem Stipendium belohnt. So kann sie nach Fès gehen und studieren: Philosophie, Soziologie und Psychologie. Sie ist eine von drei Studentinnen in ihrem Semester, die anderen sind männlich. Sie kichert als sie sagt: „Zu Hause gab es nur einen Mann, der mit meinem Handeln nicht einverstanden war. Plötzlich waren es 120.“
Dann zeigt sie ein Foto, das sie inmitten ihrer Kommilitonen zeigt: klein, zart und unauffällig grau gekleidet. Während die Studenten lachend das Peace-Zeichen in die Kamera halten, wirkt Halima ernst und konzentriert. Sie erzählt: „Am Anfang war es schwierig und mein Kopftuch hat es nicht leichter gemacht. Meine Kommilitonen waren marxistisch geprägt und es hat eine ganze Weile gedauert, bis sie mich akzeptiert haben.“
Das Examen schließt sie mit Bravour ab, natürlich, denn alles was Halima Monsch macht, will sie gut machen. Nach dem Universitätsabschluss geht sie zurück nach Nador, in ihre Heimat. In der zehn Kilometer entfernt liegenden spanischen Exklave Mellila findet sie Arbeit und unterrichtet Englisch und Französisch. Und sie lernt ihren späteren Mann kennen, den Schweizer Gian Monsch, dessen Mutter Araberin ist und der wie sie Soziologie und Psychologie studiert hat. Die beiden heiraten und Halima zieht zu ihm nach Zürich. Dort lebt sie jetzt seit 14 Jahren mit ihm und ihren 3 Kindern im Alter von 6, 9 und 13 Jahren.
„Es ist wichtig, etwas für sich zu tun“
Halima Monsch ist stolz auf das, was sie bislang erreicht hat. Und sie ist dankbar – ihrer Großmutter beispielsweise: „Sie hat alles für mich getan und mir ein schönes Leben ermöglicht. Ich hatte eine tolle Chance und konnte mein Selbst treffen.“ Gerne würde Halima Monsch als Sozialpsychologin arbeiten, doch noch halten die Kinder sie auf Trab und sie will auch als Mutter ihr Bestes geben. Viel Zeit für sich bleibt ihr deswegen nicht. Doch der Montagmorgen, der gehört ihr. Dann geht sie mit einer Freundin zu Kieser Training und tauscht ihren dunklen Mantel gegen einen wadenlangen rot-pink-orange-gemusterten Seidenmantel.
Ihr gefällt die Konzentration der Bewegungen an den Trainingsmaschinen. Es entspannt sie. „Es ist wichtig, etwas für sich zu tun. Ich brauche diese Zeit. Das gibt mir neue Energie und neue Ideen.“ Auf die Frage, was Kraft für sie bedeutet, antwortet sie auf Englisch. In dieser Sprache fällt es ihr leichter, ihre Gedanken klar zu formulieren: „Kraft bedeutet für mich, ich selbst zu sein. Wenn mir das gelingt, kann ich mich für meine Familie einsetzen und jedem geben, was er braucht.“
Sie wünscht sich, dass auch andere arabische Frauen Krafttraining ausprobieren, um die positive Wirkung zu erfahren: „In unserer Kultur machen wir, was die anderen von uns erwarten. Aber auch als Moslem muss man sich selber lieben. Arabische Frauen denken, dass ein dicker Körper ein perfekter Körper ist. Ich versuche, meine Freundinnen davon zu überzeugen, dass es gesünder ist, auf Zucker zu verzichten und körperlich aktiv und fit zu sein. Wir Frauen müssen stark sein.“ Halima Monsch ist stark – wenn auch im Stillen.
Text: Tania Schneider
Foto: Verena Meier