„Auf der Bühne kannst du dich nicht verstecken“
Elisabeth Kulmer will Profi-Geigerin werden. Dieses Ziel verfolgt sie nicht ernst und streng, sondern mit viel positiver Energie und Begeisterung. Wenn die Emotionen mit ihr durchgehen, dann fließen auch mal Tränen – bei ihr und den Zuhörern.
Elisabeth Kulmer hat früh gelernt, auf sich selbst zu hören. Sie ist erst 17, aber sie hat etwas erkannt, womit sich noch so manch Erwachsener schwer tut: Dass es besser ist, nicht alles anzunehmen, was einem von Außen angetragen wird, selbst dann nicht, wenn es Ratschläge von renommierten Experten sind. Diese Erkenntnis verdankt sie ihrer Musik.
Elisabeth Kulmer war drei Jahre alt, als sie die Geige für sich entdeckte. Ihr Vater ist Dirigent. Deshalb war sie von Geburt an von klassischer Musik umgeben. Sie besuchte einen Musikkindergarten, der Unterricht in Klavier und Geige anbot. Elisabeth erinnert sich noch genau daran, wie sie dort den älteren Kinder beim Geigenspiel lauschte. Sie war fasziniert von diesem Instrument und wollte es spielen lernen. Für die Eltern war klar: Wenn, dann richtig. Elisabeth weiß noch, wie ihr Vater sie damals sehr ernst fragte, ob sie ganz sicher sei, Geige lernen zu wollen. Das war sie.
Und das ist sie bis heute: Elisabeth möchte Profi-Musikerin werden. Seit Herbst diesen Jahres studiert sie an der Musikakademie in Basel klassische Musik mit Schwerpunkt Geige. Sie ist die jüngste Studentin dort. Eigentlich muss man volljährig sein, um an der Akademie aufgenommen zu werden. Aufgrund ihrer musikalischen Hochbegabung hat sie jetzt schon einen Platz bekommen.
Geiger sind ernst? Elisabeth nicht ...
Mit dem Bild der ernsten Geigerin hat Elisabeth wenig gemein. Wenn sie erzählt, lacht sie oft. Sie spricht schnell, ihr ganzer Körper scheint dabei in Bewegung zu sein: Ihr brauner Pferdeschwanz wackelt und sogar die dunkle Strickjacke rutscht ihr von den Schultern. Sie gestikuliert viel, wirkt dabei quirlig und lebensfroh. Eine junge Frau, die weiß, was sie will. Und die sich nicht verstellt, sondern natürlich und selbstbewusst erzählt, in typischer Jugendsprache, in die gerne mal Begriffe wie „mega“ einfließen, wenn sie total begeistert ist, oder „pochen“, wenn sie von harter Arbeit spricht.
So bei sich zu sein, dass musste sie jedoch erst wieder lernen. Dass das kein einfacher Weg war, ahnt man, wenn man sich Elisabeths Lebenslauf ansieht, den ihre Mutter im Vorfeld des Gespräches geschickt hat: Er ist zweieinhalb Seiten lang, davon beschreiben allein zwei Seiten ihren musikalischen Werdegang. Sie ist nach Zürich, Wien, Moskau oder Sizilien gereist, zu zahlreichen Festivals, Auftritten, Privatkonzerten und Wettbewerben. Am meisten hat sie sich über den ersten Platz bei „Jugend musiziert“ im vergangenen Jahr gefreut. Sie hat für ihr Alter viel erlebt und viel gesehen.
Und sie hat etwas Wichtiges verstanden: Sie muss bei all dem Wirbel um sie herum und bei all den Einflüssen ihren eigenen Weg gehen. Als kleines Kind war das kein Problem: Die Musik war ihrs. Sie hat die Geige so gespielt, wie sie es wollte. Egal, was ihre Musiklehrer dazu sagten. „Es ist dein Stück, dein Kind, das du dir erarbeitet hast“, beschreibt sie das heute. Doch dann, sie war etwa zehn, elf Jahre alt, hat sich das geändert: Sie saugte plötzlich regelrecht auf, was ihre Lehrer sagten und setzte alles um – auch, wenn ihr dabei nicht immer wohl war. Im Nachhinein kommt Elisabeth ihr damaliges Ich vor wie das einer Puppe, die alles mit sich machen ließ.
„Auf der Bühne kannst du dich nicht hinter deinem Professor verstecken“
Sie musste erst lernen, dass – egal mit welchen renommierten Musikgrößen sie arbeitet – sie selbst mitdenken und entscheiden muss, welche Tipps sie annimmt und welche nicht. Ihr war klar geworden: „Auf der Bühne bist du komplett nackt. Du kannst dich nicht hinter deinem Professor verstecken, erst recht nicht als Solo-Geige. Was du vorspielst, hast du zu verantworten“, sagt die junge Musikerin.
Solange sie selbst ihr Bestes gibt, hadert sie auch nicht mit sich, wenn das Ergebnis mal nicht so gut ist. Bei Wettbewerben zum Beispiel: „Wenn ich weiß, dass ich meine Aufgabe so gut ich es kann erfüllt habe, dann bin ich zufrieden, dann ist es mir auch egal, was für einen Platz ich bekomme“, sagt sie. Wenn es nicht für den Sieg gereicht hat, ist das eben so. Nur wenn sie Fehler macht und deshalb nicht gut bewertet wird, dann ärgert sie sich über sich selbst.
Disziplin und starke Emotionen
Wettbewerbe sieht sie ganz pragmatisch als Gelegenheiten, Auftrittserfahrung zu sammeln und Feedback zu ihrer Musik zu bekommen. Jede Teilnahme ist für sie ein Gewinn, egal, was dabei rauskommt. Ihr geht es in erster Linie darum, ihre Zuhörer wirklich zu erreichen. Musik hat viel mit Disziplin zu tun, auch Elisabeth übt jeden Tag mindestens sechs Stunden, manchmal sind es auch acht Stunden oder mehr. Musik hat aber auch viel mit Emotionen zu tun: Sie erinnert sich genau an den Moment, als nach dem Konzert eine ältere Dame vor ihr stand, die von ihrem Spiel so gerührt war, dass sie Tränen in den Augen hatte. Die Dame versuchte in Worte zu fassen, was sie empfunden hatte. Elisabeth selbst war so ergriffen, jemandem mit ihrer Musik so nahe gekommen zu sein, dass sie ebenfalls anfing zu weinen. Warum und womit sie die Menschen erreicht, kann sie nicht sagen. Vielleicht hören sie mit geschlossenen Augen zu und verbinden die Musik mit einem Ereignis in ihrem Leben. Oder sie versuchen zu verstehen, wie Elisabeth die Musik interpretiert. Was sicher jeder Zuschauer wahrnimmt, ist die Kraft und die Lebensfreude, die die junge Frau ausstrahlt
Text: Monika Herbst
Foto: Jessica Alice Hath