FORSCHUNG BRAUCHT DIE BEREITSCHAFT, KRAFT UND ZEIT ZU INVESTIEREN
Vor 15 Jahren gründete Kieser Training eine eigene Forschungsabteilung – die FAKT. Dr. sc. ETH David Aguayo ist seit zwei Jahren dabei. Er befasst sich mit der Wechselwirkung zwischen Reiz und Adaption sowie den funktionellen Ausprägungen durch Krafttraining.
Herr Aguayo, was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Eigenschaft als Forscher?
Bereitschaft. Einerseits, die Bereitschaft, viel Kraft und Zeit zu investieren und anderseits etwas wieder zu verwerfen. Erkenntnisse in der „sportwissenschaftlichen Welt“ sind in den seltensten Fällen „Geistesblitze“ – wie die Erfindung des Rads. Wissenschaftliches Arbeiten zeichnet sich daher eher durch konstante, gewissenhafte Arbeit aus.
Seit wann befassen Sie sich mit der Muskulatur?
Ich habe mit dem Bachelor an der ETH in Zürich begonnen, Bewegungswissenschaften und Sport zu studieren und danach gleich den Master angeschlossen. Schon während des Studiums habe ich als Fitness-Instruktor auf der Trainingsfläche gearbeitet. In dieser Zeit hatte ich das Glück, Marco Toigo kennenzulernen. Die von ihm vermittelte Perspektive auf das Training war völlig unterschiedlich zu dem, was ich kannte. Das machte mich neugierig. Seitdem setze ich mich wissenschaftlich mit der Muskulatur auseinander.In meinem Master durfte ich unter anderem biomechanischen Betrachtungsweisen von Muskelmodellen nachgehen. Das klingt kompliziert, ist es aber nicht: Man untersucht Muskeleigenschaften mittels mechanischen Modellen. Stellen Sie sich einen Muskel vor, der an der einen Seite an einem kleinen Motor befestigt ist und auf der anderen Seite an einem Kraftsensor. Nach einer Muskelaktivierung und/oder Längenänderung können Kräfte in unterschiedlichen Umgebungsbedingungen untersucht werden. Ich habe in dieser Zeit gemerkt, dass ich den körperlichen Bewegungsaspekt vermisse. Die Lücke von der Grundlagenforschung bis zur Anwendung war mir zu groß. Deswegen habe ich eine Nische gesucht, in der ich mein Wissen aus Labor und Fitness vereinen kann.
Und diese Nische haben Sie gefunden?
Ja, im Labor von Marco Toigo.Dort geht es um Mechanismen des Muskelaufbaus und Muskelabbaus: Wir haben Trainingsmethoden auf Effektivität und Effizienz untersucht und haben dabei versucht, den Ursachen der Anpassungen auf den Grund zu gehen. Und das auf einer multidimensionalen Ebene – d. h. von der zellulären Ebene bis zur Leistungsebene. So konnte ich vier Jahre forschen und meinen Doktortitel erwerben. Mein Ziel war es herauszufinden, welche Rolle unsere Satellitenzellen bei unterschiedlichen Gegebenheiten spielen, also z. B. im hohen Alter in Antwort auf körperliche Belastung. Denn es geht ja nicht immer um die Maximierung von Leistung, sondern auch um die Frage, welche Maßnahmen wir ergreifen können, um Dinge zu verhindern oder hinauszuschieben.
Satellitenzellen sind Stammzellen im Muskel.
Genau. Die letzten zehn Jahre der Muskelforschung haben gezeigt, dass die Muskelstammzellen eine essenzielle Rolle in der Muskelhypertrophie spielen. Wir wissen inzwischen gut, wie ein Krafttrainingsreiz übertragen wird und zu welchen Anpassungsreaktionen dies führt. Doch ist die Rolle der Satellitenzellen in der Muskelregeneration und im Muskelaufbau noch nicht abschließend geklärt. Ich denke, das wird sich in den nächsten zehn Jahren ändern.
Kieser Training leistet sich seit 15 Jahren eine Abteilung für Forschung und Entwicklung. Womit beschäftigen Sie sich?
Zweck unserer Forschungsabteilung ist es, normative Daten für das Training und die Maschinenentwicklung zu ermitteln, zu analysieren und kritisch zu bewerten. Um am Ball zu bleiben, organisieren wir Fachkongresse, bahnen Kooperationen mit Wissenschaftlern, Hochschulen und anderen Organisationen an, die unser Unternehmen vorwärtsbringen – sei es durch einen reinen Gedankenaustausch, sei es durch expliziten Wissenstransfer. Wir beschaffen und bewerten Studien oder lancieren eigene Studien mit unseren Kooperationspartnern. Wir haben die Möglichkeit, in unseren Studios sehr schnell qualitativ hochwertige Daten zu erheben.
Welchen Nutzen bringt mir das als Kunde?
Im letzten Jahrzehnt hat sich die Forschung drastisch verändert, das hat auch viel mit den Methoden zu tun. Der technische Fortschritt ist rasant, das können wir ausnutzen, um Nutzen zu generieren. Wenn am Schluss kein Nutzen daraus generiert wird, bringt die ganze Forschung nichts. Unser Ziel ist es, die Kräftigung sicherzustellen und zu verbessern. Ein Beispiel aus der Maschinenentwicklung: Kieser Training entwickelt, produziert und vertreibt eigene Trainingsgeräte. Die Entwicklung folgt hierbei definierten trainingswissenschaftlichen Konstruktionsgrundsätzen sowie materiellen und ästhetischen Rahmenbedingungen. Teilweise sind sie bestückt mit technologischen Schlüsselkomponenten anderer Firmen. Durch einen solchen Austausch generieren wir einen hohen Nutzen für unsere Kunden. Das Beckenbodengerät A5 ist ein solches Beispiel. Mit der Kräftigung dieser Muskeln sind viele positive Wirkungen verbunden wie etwa die Verbesserung von Inkontinenz. Ein anderes Beispiel sind die Geräte B3 und B4 zur Kräftigung der Muskeln des Sprunggelenks. Damit können wir unseren Kunden ein sachgemäßes Training dieser Muskulatur bieten – als derzeit einziger Anbieter.
Interview: Tania Schneider
Foto: Verena Meier