„ERST DURCH DIE ERKRANKUNG WURDE ICH DER, DER ICH JETZT BIN.“
2009 verliert Chris Kolbeck seinen Unterschenkel durch Krebs – und findet sich selbst.
Die Augen blau, der Blick offen, der Händedruck fest und die Haltung stolz. „Hallo, ich bin Chris“, sagt er lächelnd. Eine Sekunde später halte ich seine Laufprothese in der Hand, mit der wir den Triathleten für das Projekt „50 starke Persönlichkeiten“ fotografieren wollen. „Fühlt sich schwer an“, sage ich. „1,5 Kilo. Mein Unterschenkel wog 4,5 Kilo“, antwortet er trocken.
Chris Kolbeck ist 33 Jahre alt und kommt schnell auf den Punkt. Das hat er durch seine Krankheit gelernt: Knochenkrebs. Den betrachtet er trotz Amputation und allen Träumen, die er mit dem Unterschenkel begraben muss, als glücklichen Zufall. „Erst durch die Erkrankung wurde ich der, der ich jetzt bin.“
Chris Kolbeck ist vor allem eines: Ein Kämpfer. Bevor sein Arzt 1998 einen tennisballgroßen Tumor im linken Sprunggelenk fand, hatte er große Träume. Stattdessen steckt er plötzlich in einem wiederkehrenden Albtraum: In 11 Jahren und über 20 Operationen entfernen die Ärzte immer wieder Tumore sowie Teile des Sprunggelenks und das Wadenbein. 2007 opfert Chris seinen linken Bauchmuskel, den die Ärzte in den Unterschenkel verpflanzen, um den zu retten. Umso herber der Schlag, als der Krebs 2009 erneut ausbricht und die Ärzte doch amputieren müssen.
Doch Kolbeck, der Kämpfer, steht immer wieder auf, nach jeder OP. Heute wünscht er sich, die Ärzte hätten früher amputieren dürfen. „Dann hätte ich meinen Bauchmuskel noch – und weder Fehlhaltungen noch Rückenschmerzen, gegen die ich bei Kieser Training angehe.“
2015 schmeißt der promovierte Germanist seinen Job an der Uni, um als Marketingleiter für den isländischen Prothesenhersteller Össur zu arbeiten. Der hat sich dem Ziel verschrieben, Menschen mit Amputationen ein Leben ohne Einschränkungen zu ermöglichen. „Hier kann ich richtig was bewegen“, sagt Chris lachend. „Integration amputierter Menschen in die Gesellschaft ist mein Thema.“
Das gilt auch für den Sport. Er misst sich lieber an gesunden Triathleten, statt im Behindertensport, d. h. im Paratriathlon, weiter Medaillen zu sammeln – auch wenn er dann nicht mehr als Erster ins Ziel kommt. „Es ist der Weg ins Ziel, der mich reizt. Freunde und Familie, die mich unterstützen. Der Wille, mich immer wieder durchzusetzen. Das ist im Sport so wie im Leben.“ Das nächste Ziel hat er schon fest im Visier: 2017 einen Ironman 70.3 zu schaffen. Das bedeutet 2 Kilometer Schwimmen, 90 Kilometer Fahrradfahren und 20 Kilometer laufen. Dafür bereitet er sich gerade intensiv bei Kieser Training vor.
Am liebsten „sportelt“ der Bayer jedoch mit seiner Frau und seiner 4-jährigen Tochter Anna. Und die ist mächtig stolz auf die „Mutese“ ihres Papas, wie sie seine Prothese nennt. Wenn die Kinder im Kindergarten fragen, warum Papa keinen Fuß hat, antwortet sie: „Weil die Mutese viel besser ist.“
Text: Tania Schneider
Fotos: Verena Meier